by
Thomas Wacker - Blackmagazin
(Germany) April 99
Die Schatzkiste von Serge Blenner scheint unerschöpflich und
voller musikalischer Juwelen zu sein. Die Gradwanderung zwischen
Avantgarde und Pop ist ziemlich schwierig und dennoch scheint der
Künstler einen vortrefflichen Sinn für wundervolle und
vor allem anmutige Arrangements zu haben, die nicht zu schwer, aber
auch nicht zu leicht ausfallen. Besonderes der Titel
Voyage
aus den CD
Amour verbindet
viele dieser Aspekte miteinander und entführt den geneigten
Hörer in eine musikalische Landschaft voller Schönheit
und Mystik.
Sie blickten 1999 auf eine sehr lange und vor allem interessante
musikalische Schaffenszeit zurück. Da ich davon ausgehen muß
daß unsere BLACK-Leser bislang kaum oder gar nicht mit Ihnen
in Berührung gekommen sind, wäre ich Ihnen dankbar, wenn
Sie uns zunächst ein paar Informationen zu Ihrer Person, Ihrem
musikalischen Werdegang und Ihrer musikalischen Vergangenheit übermitteln
würden.
Ich wurde 1955 in Frankreich geboren und studierte später Komposition
und Harmonie am
Konservatorium von Mulhouse, bevor ich 1975 nach Deutschland übersiedelte.
Dort begann ich mit
elektronischer Musik zu experimentieren, bis ich 1978 in München
und Hamburg meine Arbeit in einer
Reihe von Konzerten präsentierte. Mit "Music Live Electronic"
entwarf ich live eine Musik - mit einer
Cellistin - aus "prepared-tape" Geräusche und elektronische
Sounds. Seit 1980 lebe ich in Hamburg
und arbeite in meinem Studio Esthématique. 1980 habe ich
auch meine erste Schallplatte produziert.
Bis heute die vierzehnte.
Sie leben seit einigen Jahren in Deutschland. Wie hat sich das ergeben?
Kamen Sie nur wegen der Musik nach Deutschland und sind hier
hängengeblieben?
Ich bin nach Deutschland gekommen wegen meinem Interesse für
die elektronische Musik, die
sogenannte Kosmische Musik, wie man das in den 70er Jahren genannt
hat. In Frankreich war in dieser Zeit nicht viel los auf diesem
Gebiet. Danach bin ich einfach geblieben und habe ich es nie bereut.
Man hat Ihre Musik in der Vergangenheit immer wieder als „Elektronische
Musik" oder
„Unterhaltungsmusik" bezeichnet. Sie selbst konnten sich damit jedoch
nie identifizieren und haben
auf die Umschreibung „zeitgenössische Musik" zurückgegriffen.
Weshalb?
Der Begriff E-M ist zu verhaftet mit Syntheziser Sounds und U.Musik
mit Kommerz. Ich finde
Zeitgenössische Musik sehr passend für meine Arbeit, was
nicht heißt daß meine Musik dem Zeitgeist entspricht.
Dies wäre mir zu oberflächlich.
Sie bezeichnen sich selbst als einen musikalischen Perfektionisten,
der sich nie mit dem zufrieden
gibt, was er gerade macht. Sie haben schon über Monate hinweg
an einem Stück gearbeitet und es
irgendwann doch auf DAT gebannt, obwohl es nicht dem entsprach,
was sie sich eigentlich gewünscht
hätten. Widerspricht das nicht dem typischen Bild eines
Perfektionisten, und haben Sie jemals das
Verlangen verspürt, eines ihrer alten Stücke, welches
sie vor Jahren veröffentlicht haben, nochmals zu
überarbeiten oder gar zu remixen?
Ich sehe keinen Widerspruch, auch ein Perfektionist muß einmal
sagen können: Diese Komposition ist
fertig. Ich bin überhaupt nicht interessiert alte Stücke
zu überarbeiten, ich sehe lieber nach vorn,
wenigstens im Moment.
Ich hatte vor einigen Monaten das Vergnügen, mich im Rahmen
meines Magazins auch mit Rüdiger
Gleisberg zu unterhalten, dessen Musik der Ihren - meines Erachtens
- sehr nahe kommt. Auch zu
seinen Wunschträumen gehört es, einmal ein Album mit einem
richtigen Orchester einzuspielen und zu produzieren, jedoch
scheiterte dieses Vorhaben bislang an der Finanzierung. Haben
Sie jemals darüber nachgedacht, dieses Vorhaben nicht mit einem
professionellen Orchester, sondern mit engagierten und talentierten
Laien durchzuführen? Ich denke, daß sollte doch eine
preiswerte und nicht minder
interessante Sache sein...
Ja, die Idee ist interessant, mal sehen...
Man kann sich eigentlich kaum vorstellen, daß Ihre Musik allein
durch elektronische Hilfsmittel erzeugt
wird. Die einzelnen Instrumente werden mit Hilfe von Samplern simuliert
und klingen so echt, daß man
ihre Echtheit kaum anzweifeln kann. Denken Sie, daß sie ohne
diese Hilfsmittel Ihre Ideen und
musikalischen Vorstellungen überhaupt hätten umsetzen
können, oder haben Sie vor Jahren das
richtige Spielen verschiedener Instrumente erlernt?
Natürlich, diese Hilfmittel (Hardware, Software) sind mir sehr
willkommen, aber ich mußte auch die
Instrumentierung sehr genau lernen um solche Simulationen zu erzeugen.
Ich bin kein Musiker sondern
Komponist, das heißt, ich habe bestimmte Vorstellungen von
Musik und Klängen.
Obwohl Ihre Musik sich zwischen Klassik, Avantgarde und Unterhaltung
bewegt, haben Sie bislang
keine kommerziellen Angebote für Werbe-Spots angenommen und
auch kein Interesse daran gezeigt.
Gibt es dafür einen Grund und woher rührt Ihre Abneigung
gegenüber der Vertonung von TV-Spots?
Ich arbeite nicht für die Werbung. Der Grund ist ganz einfach:
Ein Komponist, ein Künstler, ist nicht
dazu da, die Gelüste der Masse zu befriedigen, sondern, um
seine eigenen Vorstellungen von Klängen
darzustellen und somit zu verwirklichen.
Wäre die Erschaffung eines Film-Soundtracks denn eine Herausforderung
für Sie und falls ja, welche
Art von Film würde Ihnen persönlich vorschweben?
Ja, Filmmusik würde ich gerne komponieren - wenn das Drehbuch
interessant ist.
Gab es in den letzten Jahren vielleicht den einen oder mehrere Film,
zu dem/denen Sie gerne die Musik komponiert hätten?
Wenn ja, welche Filme kämen für Sie in Betracht?
Eigentlich nicht, ich muß auch sagen, daß ich nicht
gerade ein Filmfan bin. Ein Science- Fiction
Soundtrack oder ein Drama würde schon in betracht kommen. Aber
wie gesagt: Es kommt immer auf
das Drehbuch an! Und wahrscheinlich oder sogar sind wesentlich und
noch wichtiger Menschen, welche solche Projekte in Angriff nehmen
würden. Gegen eine Western-Soundtrack hätte ich auch nichts,
wenn ich höre was Ennio Morricone komponiert hatte. Es wäre
eine Herausforderung. Er ist ein wunderbarer
und sehr begabt Komponist; er besitzt meinen vollen Respekt.
Vor einigen Jahren hat sich Ihre Musik sehr stark verändert,
was mir nach dem Hörer Ihrer beiden Compilations Musique
Esthétique 1 + 2 und dem Album Babylone
aufgefallen ist. Ihre früheren Kompositionen waren sehr minimalistisch
gehalten und klangen zum Teil auch eher avantgardistisch, wohin
man „Babylone" - meines Erachtens - sehr deutlichanhört, aus
welchem Land der Künstler stammt und das nicht nur aufgrund
der französischen Texte. Wie darf man sich diese musikalische
Weiterentwicklung erklären und wie groß ist der musikalische
Einfluß Ihrer Heimat („Chanson") auf Ihre
Arbeit?
Ich hoffe sehr, daß meine Musik sich geändert hat. Es
ist auch der Sinn einer kunstlerischen Arbeit, die Lebenserfahrungen
und das Wissen in sein Werk einzubeziehen. Ich mag sehr gern fr.Chansons;
man kann seine Kultur nicht verleugnen. Wie groß der Einfluß
ist, kann ich nicht beurteilen.
Neuere Veröffentlichung von Ihnen - wie z.B. das noch aktuelle
Album Amour - klingen zum
Teil eher monumental und orchestral und wurden mit Chorälen
und ethnischen Einflüssen angereichert. Das erinnert mich u.a.
an Künstler wie Adiemus oder Enigma. Ist diese Assoziation
naheliegend oder eher abwegig für Sie?
Jeder Mensch der gerne Musik hört unterliegt gewissen Assoziationen,
aber diese sind immer sehr
subjektiv.
Welches Konzept steckt hinter Ihrer letzten Veröffentlichung
Amour?
Meine Arbeit hat immmer damit zu tun, was ich lese (insbesondere
Philosophie) und mit der aktuellen
Situation meines Lebens. 1995/96 habe ich mich mit Karl Jaspers
beschäftigt, dessen großes Werk
"Psychologie der Weltanschauungen" heißt. Für mich war
es interessant, zu lesen, wie er über die
Liebe spricht, über den Nihilismus und den Rationalismus. Und
das hat mich beflügelt, Musik zu
schreiben. Besonders sein Kapitel über die Liebe hat mich stark
berührt, wie er beschreibt, daß die
Liebe mit Erotik und Sexualität nichts zu tu hat. Es war genau
das, was ich dachte. Ich nenne sie
daher auch gern "Universalliebe", um die Unterscheidung zu der erotischen
Liebe zwischen Menschen
herauszustellen, denn nicht das, sondern das gegenseitige Verstehen
war mein Thema.
Wie lange arbeiten Sie in der Regel an einem solchen Konzept bzw.
an der Fertigstellung eines
kompletten Albums? Welche Entwicklungsstufen durchläuft Ihre
Arbeit in dieser Zeit?
Ich arbeite sehr lange an meinen Kompositionen, über ein Jahr
bis zu Fertigstellung. Die erste Stufe ist
die Komposition, für mich die beste Zeit, da kreativ, dann
kommt die Korrektur und die Produktion, wo
die Zeit der Entscheidung anbricht.
Wieviel Feedback erhalten Sie eigentlich aufgrund Ihrer bisher veröffentlichten
Alben und wie gut sind
Sie über die Verkaufszahlen informiert? Gibt es bestimmte Länder
- auch außerhalb von Europa - in
denen sich Ihre Musik besser oder schlecht verkauft?
Ich bekomme viel Feedback aus allen Ländern und ich glaube,
ich bin gut informiert. Es gibt keine bestimmten Länder, es
kommt immer auf die Produktion an. Zum Beispiel
Babylone
war gut in Finnland -
Equateur
besser in Italien.
Ich bin persönlich kein Freund von großen Musikfachgeschäften
wie WOM, SATURN, HMV, VIRIGIN,
oder TOWER RECORDS, denn hier wird Musik schon im Vorfeld in Schubladen
gepreßt und mit einem
bestimmten Etikett versehen und man findet verschiedene Künstler
in den unmöglichsten Kategorien.
Wo müßte ich denn Ihre CDs in solchen Geschäften
suchen und was halten Sie persönlich von
musikalischer Kategorisierung?
Ich halte davon auch nichts, aber das ist einfach Marketing, welches
der Künstler nicht beeinflußen
kann. Meine Musik wird oft in der Kategorie - New Age, New Sounds
gefunden.
Für viele Musiker aus Ihrem Bereich ist die Bezeichnung "New
Age" eher eine Art Schimpfwort und die
wenigsten wollen damit betitelt werden. Wie stehen Sie dazu?
Schimpfwort würde ich nicht sagen...aber ich hatte nie ein
Problem damit, da meine Musik bei Kritikern
und Zuhörern nie als "New Age Music" bezeichenet wurde. Dafür
ist sie viel zu Orchestral und
Melancolisch.
Vor wenigen Tagen begann die Diskussion über die „doppelte
Staatsangehörigkeit", die von vielen
Ausländern hier in Deutschland sehr begrüßt wurde,
während andere vehement an ihrer
Staatsangehörigkeit hängen. Sie selbst leben nun auch
schon sehr lange hier in Deutschland und mich würde
interessieren, ob Sie diese Diskussion interessiert und wie Ihre
Ansicht zu diesem Thema
aussieht?
Ich verfolge diese Diskussionen. Ich finde es richtig, wenn man
als Ausländer längere Jahre Steuern
bezahlt hat, auch gewisse Rechte zugesprochen bekommt. In Frankeich
gibt es die doppelte
Staatsangehörigkeit übrigens schon seit vielen Jahren.
Natürlich betreffen mich diese Probleme nicht
direkt, da ich aus einem EG-Land komme.
Man wirft den Franzosen immer wieder gerne vor, daß sie Touristen
in ihrem Land nicht mögen und sich deshalb konsequent
weigern, englisch zu sprechen und sich gar in den Grenz regionen
das Deutsch
verkneifen. Gerne würden es die Franzosen sehen, wenn man
Französisch noch vor die englische
Sprache stellen würde. Haben Sie eine Erklärung dafür,
weshalb die Franzosen so engstirnig in Bezug
auf ihre Sprache sind?
Also, ich weiß nicht wie Sie darauf kommen. Frankreich ist
ein Touristik-Land mit einer enormen
Gastfreudschaftlichkeit; aber es gibt viele Klischees. Die französische
Sprache ist eine alte Sprache,
reich an Kultur, es gibt keinen einzigen Grund sie aufzugeben. Es
gibt auf diesen Planeten (6 Milliarden
Menschen) über 90 Millionen Menschen die französisch als
Muttersprache sprechen und 280 Millionen
als Zweitsprache. (English sprechen 390 Millionen, Chinesisch über
1 Milliarde Menschen).
Französische Musiker wie z.B. Patricia Kaas, Mylene Farmer,
J.Michel Jarre oder Etienne Daho haben
es in nicht-französischen Ländern bekanntlich nicht unbedingt
einfach und sind kaum bekannt, da die
Sprach-Barriere einfach zu groß ist. Wäre das eigentlich
nicht ein Grund für Sie gewesen, auf
französische Texte ganz zu verzichten und auf die englische
Sprache zurückzugreifen?
Ich kann dem nicht zustimmen. Diese Frage interessiert mich
nicht, da sie mir viel zu kommerziell
erscheint. Aber die Leute die sie nennen, verkaufen enorm viele
Platten außerhalb Frankreichs (Kanada, Afrika etc.). Warum
sollte ich aus finanziellen Gründen auf meine Muttersprache
verzichten? Das wäre
doch armselig. Außerdem habe ich sowieso die Übersetzungen
aller meiner Texte im CD-Booklet. Ich
weiß, viele Deutsche können das nicht verstehen wegen
der ewigen Dankbarkeit gegenüber den
Amerikanern (Befreiung aus dem Faschismus), aber dies sollte einmal
ein Ende haben. Ich kann nur
den deutschen Künstlern raten - wenn ich darf - sich wieder
auf Ihre Kultur und Sprache zu besinnen.
Deutschland ist das Land der Dichter, Komponisten und Philosophen,
die mehr Akzeptanz im Ausland
haben, als im eigenen Land.
Wenn Ihnen diese Frage zu kommerziell erscheint, darf ich
dann davon ausgehen daß Ihnen Ihre
Musik um vieles wichtiger ist, als der finanzielle wie auch kommerzielle
Erfolg. Liege ich damit richtig
und wenn ja, ärgert es Sie nicht manchmal, daß andere
Musikstile (wie z.B. House, Techno, etc.)
wesentlich erfolgreicher verkauft werden, als Ambient Musik oder
Neoklassik?
Absolut. Für mich ging es immer nur um die Musik und die Kreativität.
Es ärgert mich überhaupt nicht.
Sollen die doch Erfolg haben die nur Kommerz und Erfolg suchen.
Solche Musikstile kommen und
gehen; in ein paar Jahren werden wir von diesen sogennanten Musikern
gar nichts mehr hören. Aber ich, ich werde immer noch
gegenwärtig sein!
In Kürze dürfen wir mit der Veröffentlichung Ihres
neuen Albums Ars Oratoria
rechnen. Was kann der geneigte Hörer von Serge Blenner dieses
Mal erwarten und welches Konzept verfolgt das Album?
Ars Oratoria, wie
der Titel im lateinischen schon sagt, heißt die Kunst des
Ausdrucks. Es ist meine letzte Produktion dieses Jahrtausends, und
ich habe meiner Ausdrucksmöglichkeit freien Lauf gelassen ohne
Kompromisse welcher Art auch immer. Die Inspiration hat mich begleitet.
21 Kompositionen die sich aneinanderreihen als Gesamtkunstwerk,
ich finde - natürlich sehr subjektiv gesehen - es ist mir gut
gelungen!
Welche weiteren Pläne haben Sie für das Jahr 1999 bereits
gefaßt? Wird es eventuell eine Möglichkeit
geben, Sie „live" auf einer Bühne zu erleben?
Mein Plan für 1999 ist die Verbreitung von
Ars
Oratoria, die ich auf meinem eigenen Label veröffentlichen
werde. Über einen Live-Auftritt mache ich mir ernsthafte Gedanken.
Mal sehen!
Dank an Robert Wevers für die Empfehlung
und Volker Fleischer für die deutsche Rechtschreibung.